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  Gottes Stimme und Gernhardts Beitrag: In Zungen reden

Wer jemals etwas zu schreiben hatte, sei es die Bild-Zeitung, sei es Heinrich Heine oder Gott, niemand ist vor Robert Gernhardts persönlicher Nachbereitung sicher. "In Zungen reden" führt die Hörerinnen und Hörer auf eine Reise durch die Literaturgeschichte und die literarischen Gattungsformen. Die Live-Lesung des Autors ist bereits 2001 beim Hörverlag erschienen.
Bei jedem anderen Autor würde ein solches Vorhaben vermutlich in Langeweile ausufern, Gernhardt zuzuhören ist jedoch ein Genuss.
Des Dichters erstes Kapitel "Ältere Zungen" beginnt mit der ältesten aller Zungen, mit Gott. Der verkündet seinem Knecht Gernhardt das elfte Gebot: "Du sollst nicht lärmen". Die Ausführungen über reine und unreine Instrumente, das Bedudeln von Bahnhöfen, Walkman, Handy und frisierte Maschinen sind ein herrlicher Ulk, an dem jeder Bibel-Kenner seinen Spaß haben dürfte sofern ihm nicht Spaß mit der Bibel generell suspekt ist. Eine kleine Kostprobe: "Auch sollt ihr nicht am Himmel herumdüsen. Und ich will sie alle abstürzen lassen, sobald auch nur ein Gestörter ausruft: Ruhe da oben! und es kehrt keine Ruhe da oben ein. - Rettungshubschrauber aber will ich nicht abstürzen lassen. Transportiert aber der Rettungshubschrauber jemanden, den ich habe abstürzen lassen, weil er gelärmt hat, so will ich auch den Rettungshubschrauber abstürzen lassen."
Im Anschluß an Gott setzt sich Gernhardt mit Dante Aligaeri, Boccacio, Joseph von Eichendorff, Heinrich Heine und Wilhelm Busch auseinander. Die Kenntnis der parodierten Werke erhöht dabei den Genuss, zwingend vonnöten ist sie jedoch nicht. Die Imitationen sprechen meist für sich. Gernhardts einführende Worte tragen zum besseren Verständnis bei.
Im zweiten Teil beschäftigt sich Gernhardt mit un- und überpersönlichen Zungen. Unpersönliche Zungen sind die Nachricht, der Hinweis, das Rezept oder das Gesetz, überpersönliche Zungen das Gebet, die Predigt, das Märchen oder die Legende. So erfährt man hier zum Beispiel, woher der Ausdruck "auf Sand gebaut" stammt. Es handelte sich dabei eigentlich um einen "terminus technicus " aus der Funktechnik. Durch einen Hörfehler wurde dann aus "da hat er aber wieder was aufs Band gesaut" der heute gebräuchliche Ausdruck.
Im dritten Teil seiner Lesung widmet sich Gernhardt schließlich den neueren Zungen. Dabei ragen vor allem seine Interpretationen zu Ernst Jandls Gedicht "Ottos Mops" heraus. Gernhardt macht daraus "Annas Gans", "Gudruns Luchs , "Gittis Hirsch" und - um es auf die Spitze zu treiben - auch noch "Enzensbergers Exegetenschelte".
Auch wenn sich Gernhardt hin und wieder verspricht, trägt die Live-Atmosphäre zum Eindruck bei, man säße selbst im Publikum. Seine ironischen und oft hintersinnigen Texte unterhalten nicht nur, sondern liefern auch Denkanstöße.
Ganz zum Schluß, im Rahmen des Kapitels "Überpersönliche Gedichtformen" trägt er auch noch einmal sein, mittlerweile auch in Schulbüchern zu findendes, Sonett "Sonette find' ich sowas von beschissen" vor.
Dann sind die knapp eineinhalb Stunden mit der nun schon so vertrauten Stimme des "Klassikers" der deutschen Gegenwartspoesie bereits vorbei. Doch frei nach Sepp Herberger "Nach dem Hören ist vor dem Hören" kann es gleich wieder mit den "Älteren Zungen" von vorne losgehen.

Robert Gernhardt, "In Zungen reden"
Gelesen von Robert Gernhardt
Live Mitschnitt der Lesung vom 3. Mai 2001 in Würzburg.
1 CD, Spieldauer 85 Minuten
Der Hörverlag
ISBN 3-89584-548-5
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