Diese Lesung kann man nicht einfach so nebenbei hören - oder in Anwesenheit von Gästen, die doch eigentlich zum Fußballgucken vorbeigekommen sind. Wie das Cover der CD sind auch die Gedichte von Yoko Tawada anspruchsvoll. "Diagonal" heißt die rund 40-minütige Hörbuchproduktion , die im Frühjahr 2003 im Konkursbuch Verlag erschienen ist. Unterstützt wird die Lesung mit Kompositionen von Aki Takase am Klavier.
Yoko Tawada spricht, schreit, flüstert ihre Lyrik. Fast schon kindlich wirkt dabei ihr japanischer Akzent. Bereits nach den ersten Sätzen ist klar: die 18 Texte bewegen sich in hauchdünnen Sphären. So wasserklar und zerbrechlich ihre Lyrik auch anmutet, so ausdrucksstark ist sie, wenn die 1960 gebürtige Tawada eigenwillige Sprachspiele rezitiert. So heißt es in "Neun Fragmenten: "Der menschliche Körper besteht 80% aus Wasser. Da ich in Russland jeden Tag russisches Wasser trank, wurde mein Körper 80% russisch."
In ihren Texten philosophiert Tawada vor allem über die Sprache, ihre Laute oder Grammatik. Sie experimentiert, sie befreit die Sätze aus ihren angestammten Kontexten und kombiniert sie zu - teilweise- abstrusen Gebilden. Tawadas Lyrik erstaunt, sie irritiert. Vor allem aber machen die Gedichte über Sprache sprachlos.
Die Gedanken entgleisen regelrecht für Momente. Die Logik wird dabei auf Äußerste strapaziert, wenn Tawada sagt "Ich esse meinen Vater."
Ihre Texte sind aber alles andere als abschreckend. Im Gegenteil: sie entfalten regelrechte Sogwirkungen, sie ziehen von der Oberfläche selbstverständlicher Sprachgepflogenheiten in unsichere Tiefen hinab. Gleichzeitig aber bieten sie Orientierungs - und Halte punkte an, über die man zu neuen Ordnungen geläutert wird. Tawada provoziert zum Nach-denken, wenn man so will, zur Nach-sprache.
Verrätselt und exotisch, aber nicht hermetisch, für andere unzugänglich, handelt ein anderes Gedicht von der sich selbst behindernden Sprache. "Ein Wort - ein Mord , wenn ich spreche, bin ich nicht da, ein Wort in seinem Käfig, fesseln, gefesselt."
Interessant und voller hintersinniger Anspielungen ist auch der Satz der in Hamburg lebenden Japanerin, der lautet: "In Deutschland will keiner Eiswürfel in seinem Getränk haben. Keiner weiß, warum."
Tawada hat zahlreiche Lyrikbände in deutscher Sprache veröffentlicht. Diese von Claudia Gehrke umgesetzte Tonproduktion ist auch ein interessantes Klangerlebnis. Aki Takase, ihres Zeichens Pianistin und Komponistin, begleitet die Lesung mit reizvoller Klaviermusik, die allerdings nicht immer optimal auf den Text abgestimmt ist. Die - schon für sich komplizierten - Takte lenken mitunter eher vom Text ab, als ihn zu unterstützen.
Nachlesen kann man die Gedichte und die Biographien beider Künstlerinnen in einem beigelegten booklett. Die Gedichte von Yoko Tawada und die Kompositionen von Aki Takase müssen sich unbedingt Gehör verschaffen. Mit ihrer ästhetischen Klarheit und philosophischen Tiefe können Tawadas Texte die deutsche Lyriklandschaft sicherlich um einiges bereichern.
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