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  Kindheitsgeschichten: Mein finnischer Großvater

"Tirlitan" nennt er sie liebevoll. "Tirlitan" gefällt ihm besser als Leena. Überhaupt gefallen und missfallen dem Großvater Dinge, die andere oftmals gar nicht bemerken. Das Kinderhörbuch "Mein finnischer Großvater" von Marjaleena Lembcke erzählt, wie die vierjährige Leena ihren Großvater Juho kennenlernt. Auf Anhieb entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden. Sie sitzen im Sommer stundenlang auf der Schiffsschaukel im Garten. Juho macht sich Gedanken, die er von Anfang an mit der kleinen Leen teilt. Er nimmt sie ernst, erzählt ihr vom Krieg und der Flucht seiner Familie.
Als Leenas Mutter noch ein Baby bekommt, verbringt Leena mit ihrem Bruder Matti einen wunderschönen Sommer bei Großvater Juho auf dem Land. Leena und ihr Großvater schreiben sich von nun an Briefe, wenn sie Sehnsucht nacheinander bekommen. Sie teilen ihre Sorgen und Gedanken in den Briefen, bis Leenas Familie in ein großes Haus zieht, wo Platz für den Großvater und seinen geheimnisvollen Schrank ist. Doch was sich in dem Schrank befindet, erfährt Leena erst nach dem Tod des Großvaters.
"Mein finnischer Großvater" beschreibt eine Kindheit aus der Sicht eines Kindes. Die Besonderheit der Freundschaft mit dem Großvater wird nicht explizit genannt, zeigt sich aber in den Briefen der beiden. Sowohl der Großvater wie auch Leena sind etwas anders, werden von der Umwelt oft verlacht für ihr Handeln, das anderen Menschen komisch erscheint. Diese Gemeinsamkeit zieht sich wie ein geheimer Wegweiser durch das Hörbuch.
Das Kinderhörbuch verschafft einen kleinen Einblick in das ferne Finnland. Am Rande in die Erzählung eingeflochten sind die Vorurteile gegen die in Finnland lebenden Sinti und Roma. Sie werden durch die Begegnung Leenas mit der Frau von Juhos Bruder - einer "Zigeunerin" - entkräftet. Ein finnisches Problem ist der weit verbreitete Alkoholismus bei Männern. Er wird aus kindlicher Perspektive thematisiert. Leena wird Zeugin, wie der Nachbar Veiko im Suff seine Geige zetrümmert. "Ich will erst wieder spielen, wenn ich ein guter Mann geworden bin", sagt er. Auch Leena versteht, dass gut bedeutet, nicht mehr zu trinken.
Ulrike Folkerts liest den Text, ohne die einzelnen Rollen stimmlich und schauspielerisch auszugestalten. Dies lässt Raum für eine eigene Figurenkonzeption, das Vorgelesene kann wie etwas Selbstgelesenes in der Phantasie beliebig ergänzt werden. Sie tut sich allerdings etwas schwer mit der Aussprache der finnischen Namen, die in ihrem Sprechen "eingedeutscht" klingen.
Dadurch, dass die Sprecherin den Figuren keine feste Rolle vorgibt, wirkt das Hörbuch anfangs etwas langatmig. Die Figuren brauchen Zeit, um sich durch den Handlungsverlauf zu entwickeln. Nimmt man sich diese Zeit, dann erzählt dieses Hörbuch eine rührende Geschichte. Die Figur der kleinen Leena bietet mit ihrer Neugier und ihrer Eigensinnigkeit Identifikationsmöglichkeiten. Ulrike Folkerts betont sehr feinfühlig die Gedanken und Äußerungen Leenas und kontrastiert sie gekonnt mit den Erwartungen ihrer Umwelt. Gut platzierte und sensible Musik lässt einen Abschnitt in der Geschichte zu Ende gehen. Es bleibt Zeit, das eben Gehörte zu überdenken.
"Mein finnischer Großvater" ist ein tiefsinniges und ruhiges Hörbuch, das Kinder und Erwachsene zum Nachdenken anregt.

Marjaleena Lembcke, "Mein finnischer Großvater"
gelesen von Ulrike Folkerts
Regie: Martina Deppe-Spinelli und Thomas Lotz
© 2001, Print-Erstveröffentlichung 1993
2 Wortcassetten, Laufzeit 137 Minuten
Uccello Verlag GmbH, Bad Lippspringe
ISBN: 3-933005-25-6

 

 

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