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  Pass-genau: Flüchtlingsgespräche

"Der Pass ist der edelste Teil des Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch", schrieb Bertolt Brecht in seinen "Flüchtlingsgesprächen". Der Dialog zwischen zwei Exilanten erschien 1961 - erst fünf Jahre nach Brechts Tod - im Frankfurter Suhrkamp-Verlag. 1967 hat der Süddeutsche Rundfunk (SDR) ihn mit Robert Michal, Hans-Christian Blech und Günther Ungeheuer zu einem Hörspiel umgesetzt. Diese Aufnahme ist seit Sommer 2004 nun bei Noa-Noa als Hörbuch erhältlich.
Zwei Emigranten tauschen in der Bahnhofsgaststätte von Helsingvors ihre Ansichten über das Leben, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus. Durch Zufall haben sie sich in der Bahnhofsgaststätte getroffen.
Außer Kalle kennt Ziffel in Helsingvors niemanden, der Deutsch spricht. So vertraut er ihm seine Gedanken an. Er beschließt, seine Memoiren zu schreiben, wenngleich er kein berühmter Mann ist, sondern nur ein "einfacher" Physiker.
Passagenweise liest Ziffel seinem Landsmann dann aus dem Manuskript vor. Meist hört Kalle ihm zu. Nur selten bezieht er Stellung.
Ziffels Erinnerungen an seine Lehrer entlocken ihm dann doch eine lebhafte Reaktion. Sie haben den Kindern keine Fakten vermittelt, sondern sie "angemessen" auf das spätere Leben vorbereitet. So schreibt Ziffel über seinen Chemielehrer: "Wir haben bei ihm keine Chemie gelernt, wohl aber, wie man sich rächt!"
Bei den anschließenden Betrachtungen über die politische Entwicklung in Deutschland nennt Ziffel den "Führer" niemals beim Namen."Er" steht jedoch als unseliger Ungeist wie ein tiefroter Faden hinter dem Geschehen, dem Ziffel schließlich seine Entlassung aus dem Wissenschaftsbetrieb zu "verdanken" hat.
Ruhig resümieren die beiden Männer den Niedergang ihres Landes, ihres eigenen Lebens und der politischen Kultur. Fast schicksalhaft scheint der Krieg heraufzuziehen.
Mit seinem meisterhaften Sprachgefühl hat Bert Brecht (1898-1956) in den "Flüchtlingsgesprächen" sein eigenes Emigrantenschicksal literarisch verarbeitet. Mit dem gebotenen Feingefühl haben Michal und Blech den Dialog der beiden Exilanten umgesetzt. Beinahe nüchtern hat der Schauspieler Günther Ungeheuer die Aufgabe des Sprechers übernommen. Kurze Musikeinblendungen trennen die unterschiedlichen Szenen oder Themen voneinander ab. Dazwischen wirft Ungeheuer eine Titelzeile ein, der manchmal auch noch ein paar wenige beschreibende Sätze folgen. Dann ergreift Ziffel oder manchmal auch Kalle wieder das Wort.
Dank ihres zurückhaltenden Einsatzes sind die "Flüchtlingsgespräche" ein hervorragendes Hörspiel geworden. Beinahe hat es eher den Charakter einer Lesung, da Robert Michal in der Rolle des Physikers Ziffel ja längere Passagen aus dessen Memoiren vorliest.
Bedrückend ist Brechts Text mit seiner Mahnung vor Missgunst, Neid und Kleingeisterei sowie vor blindem Gehorsam. Satirisch scharf ist nicht nur die einleitende Ausführung über den Pass und dessen höheren Wert. Ein Menschenleben - das wusste der Dichter leider nur zu genau - war nichts wert!
Und so formulierte Brecht voller Zynismus: " Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass - niemals! Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird."

Bertolt Brecht , "Flüchtlingsgespräche "
Gelesen von Robert Michal, Hans-Christian Blech und Günther Ungeheuer
1 MC, Laufzeit 98 Minuten
Produktion: 1967 Süddeutscher Rundfunk (SDR), Stuttgart

© 2004 by Noa-Noa
ISBN: 3-932929-02-0

 

 

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