[hoerBUCHtipps]
autoren                 |               sprecher                 |                   verlage                    |                 kritiker               |                         impressum

  

                                  

  Liebe und Poesie: Elling schreibt

"Hundert Jahre vor meiner Zeit malte Edvard Munch ein Bild namens "Abend auf Carl Johann". Es zeigt viele Menschen, die in Richtung Schloss über "Carl Johann" strömen. Und über die leere Fahrbahn geht, genau in Gegenrichtung zu allen anderen, eine dunkel gekleidete Gestalt. "Auf seltsame Weise erkannte ich mich in diesem Bild wieder. Ich wusste, dass ich dort über die Straße ging, weg von allen anderen, vom Hauptstrom."
Allein mit seinen Ängsten und seiner eigenwillig verschrobenen Weltsicht verbringt Elling sein ganzes Leben zuhause bei seiner Mutter. Nach deren Tod lernt er in einem Pflegeheim Kjell Bjarne kennen, einen etwas zurückgebliebenen, stets fluchenden Riesen. Beide verbindet die Angst vor den Mitmenschen. Nun haben Elling und Kjell Bjarne aber von der Stadt Oslo eine Sozialwohnung gestellt bekommen. Ihr Betreuer Frank verlangt, dass sie Initiative zeigen und unter Menschen gehen. "Wozu hat man schließlich eine Wohnung, wenn man dauernd auf die Straße gehen soll", fragt sich Elling.
Doch der Zufall will es, dass die beiden Eigenbrödler die schwangere Reidun kennen lernen. Kjell Bjarne verliebt sich in sie. Elling entdeckt durch sie seine Berufung: die Poesie. Er findet - seinem Naturell entsprechend - auch einen sehr eigenwilligen Weg seine Gedichte einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Schließlich wagt Elling sogar den Weg zu einer Dichterlesung, bei der er Alfons Jorgensen kennen lernt. Den alternden, ehemals berühmten Dichter lädt er als ersten Menschen in sein Privatleben ein. Er gibt ihm seine Telefonnummer. Für die "Blutsbrüder" Elling und Kjell Bjarne ist das der Aufbruch in ein neues Leben.
"Blutsbrüder" ist auch der Titel von Ingvar Ambjörnsens drittem Elling-Roman. Er hat als Vorlage für das Hörspiel "Elling schreibt" gedient. Insgesamt hat der ehemalige Pfleger in einer psychiatrischen Klinik vier Romane über den verschrobenen Antihelden geschrieben. Sie haben ihm in Norwegen Kultstatus verliehen. Im Jahr 2000 wurden die Romane unter dem Titel "Elling" von Regisseur Petter Naess erfolgreich verfilmt.
Die Hörspielbearbeitung des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) zeichnet sich vor allem durch die vielfältigen Innenansichten Ellings aus, die der Film in diesem Umfang nicht liefern konnte. Dem Zuhörer eröffnet sich die Welt aus dem Blickwinkel dieses spleenigen Charakters. Schon den Gang auf die Restauranttoilette stilisiert er zur Heldentat. Das Öffnen einer Damenhandtasche verkommt zum verbrecherischen Akt.
Das Verhältnis des Zuschauers zu diesem "Helden" bleibt aber zwiespältig, denn Elling ist bei allen komödiantischen Aspekten seiner Persönlichkeit auch eine tragische Figur. Immer wieder suchen ihn Angstzustände und Wutausbrüche heim, seine Rituale, Wertvorstellungen und Prinzipien scheinen völlig festgefahren.
Doch Elling kämpft gegen sich selbst an. Er "knackt eisern eine Phobie und Aversion nach der anderen" von der verkehrsreichen Straße bis zur Türklingel. Mit dem Entdecken seiner Berufung schließlich entfaltet sich die "Knospe" Elling und die farbenfrohe Blüte des "Sauerkrautpoeten" tritt ans Tageslicht.
Nähe zu diesem vielfältigen Charakter bewirkt auch die bewusste Auswahl namhafter Sprecher. Jens Wawrczek, bekannt als Peter Shaw aus den "Drei Fragezeichen", verleiht dem verschrobenen Elling eine sehr passende, etwas stimmbruchgeschädigte Stimme. Auch Heinz Werner Kraehkamp dröhnt mit seinem Bass dem urwüchsigen Kjell Bjarne viel Leben ein. Die musikalischen Untermalungen und Geräusche erscheinen zwar hin und wieder etwas deplaziert, doch die gute dramaturgische Arbeit bleibt davon unberührt.
Durch den Bezug auf nur einen Elling-Roman fehlen natürlich wichtige Aspekte der Vorgeschichte, die dadurch nur bruchstückhaft in kleinen Episoden berücksichtigt werden konnte. Dem skurrilen Hörvergnügen tut dies jedoch keinen Abbruch.

Ingvar Ambjörnsen, "Elling schreibt"
Regie: Oliver Sturm
3 CDs, Gesamtdauer 190 Minuten
Produktion: Mitteldeutscher Rundfunk
© 2003 by Audio Verlag GmbH
ISBN 3-89813-260-9

 

 

[Amazon]

 

home              |                suchen                  |            newsletter               |              gästebuch             |          kontakt


© 2004 by fjh-Journalistenbüro, D-350 37 Marburg